Stille
Heute ist ein bedeutender Tag. Denn heute... werde ich still. Bewusst. Alle Geräusche um mich herum habe ich abgeschaltet, den Raum verdunkelt und die Augen geschlossen. Dieses völlige Fehlen von Ablenkung macht mich anfangs irgendwie kribbelig und nervös. Es ist ungewohnt.
Meine Gedanken fragen: 'Was tust Du da? Willst Du nicht lieber Musik hören? Da war auch noch ein Video, was Du anschauen wolltest. Oder vielleicht gehst Du lieber mit den Hunden laufen? Ruf mal Mama an, das hast Du schon länger nicht mehr getan.'
Kurz überlege ich, die Verlockung ist groß und antworte dann: 'Nein. Für dies alles ist später noch Zeit genug. Dieser Moment hier ist jetzt wichtiger für mich.' Glaube ich...
Und nehme allen Mut zusammen. Tief und zitternd atme ich in den Bauch ein, halte die Luft für einen kurzen Moment fest, bemühe mich dann, sie durch meinen Körper strömen zu lassen und atme langsam wieder aus. Das soll helfen, wurde mir gesagt.
Dabei stelle ich mir vor, das alles was mich belastet, aus mir herausfließt. Nach einiger Zeit wird es leichter so zu atmen und mir fällt auf, wie flach ich normalerweise atme. Es fühlt sich gut an, so als hätte ich etwas wieder entdeckt, was schon immer da war. Erstaunlicherweise sind auch die Gedanken, die sich vorher noch wie ein Kreisel durch meinen Kopf gedreht haben, nun ruhig.
Ich lausche. Da. Ein zartes Klopfen in mir, mein Puls, angetrieben durch mein Herz, das beruhigend regelmäßig schlägt und mir zuzuflüstern scheint: 'Vertrau mir.' Ein Rauschen. Mein Blut, das mich mit allem Lebensnotwendigen versorgt. Einige Zeit höre ich fasziniert zu. Dann werden, wie durch Zauberei, auch diese Geräusche leiser.
Oder gewöhne ich mich nur daran? Es ist egal. Denn getragen durch meine ureigenste Hintergrundmelodie fühle ich mich sicher genug, um mich tiefer und immer tiefer fallen zu lassen.
Und dann geschieht ein Wunder. Ich fühle etwas, was ich nicht genau benennen kann. So etwas wie... Unendlichkeit. Und zum ersten Mal eine tiefe Verbundenheit. Mit dem Leben. Ich fühle, dass ich ein Teil von Allem bin. Es ist heilsam und tröstlich.
Eine leise und liebevolle Stimme in mir macht sich bemerkbar.
Sie sagt:
'Willkommen zu Hause.'
©Nadine Baum