Zwiegespräch
'Hey Du!' Erschrocken fahre ich hoch, wer hat da gesprochen? Ich schaue mich um. Niemand da. Eigenartig. Und vertiefe mich wieder in das Video was ich gerade schaue. 'Hier bin ich! In Dir!' Erneut schrecke ich auf. "Wie, in mir?" frage ich verwirrt.
'Du brauchst nicht laut zu sprechen, ich sehe deine Gedanken. Und nein, du drehst nicht gerade durch. Ich bin in dir und mir reicht es. Du ignorierst mich. Du hörst laute Musik, um mich zu übertönen, begibst Dich in und umgibst Dich mit Situationen, Dingen und Menschen, die Dich von Dir ablenken.'
Wie ein Luftballon, den man mit der Nadel angepiekst hat, sacke ich zusammen.' Aber mir geht's doch gut', denke ich. 'Ich habe einen gut bezahlten Job, viele Freunde, ein schönes Auto und Haus, fahre zweimal im Jahr in Urlaub…'
'Ha!', sagt die Stimme. 'Und was ist mit den Bauchschmerzen, die Du in letzter Zeit ständig hast? Du nimmst Medikamente dagegen. Und diese Müdigkeit und Erschöpfung? Dafür schüttest Du Kaffee in Dich hinein.
Morgens kommst Du kaum aus dem Bett und hast tiefe Ränder unter den Augen. Erinnerst Du Dich, wann Du das letzte Mal morgens voller Energie aufgewacht bist? Wann Du glücklich und dankbar jeden neuen Tag begrüßt hast?'
Ich werde nachdenklich, denn die Stimme hat Recht. Ich komme morgens kaum aus dem Bett. Beim Gedanken an meine Arbeit und den Stress dort würde ich am liebsten liegen bleiben. Ich schleppe mich irgendwie über den Tag, treffe mich danach noch mit Freunden, mit denen ich meist immer die gleichen oberflächlichen Gespräche führe. Falle erschöpft ins Bett und kann doch nicht einschlafen, weil ich weiß, das am nächsten Tag alles wieder von vorne beginnt. Und dann diese Kopfschmerzen…
Nie ist Ruhe in meinem Kopf, die Gedanken fahren Karussell, ich denke über gestern, über heute und morgen nach und es fühlt sich an, als würde mein Kopf bald platzen.
Also frage ich: 'Und was nun? Ich kann doch nicht einfach alles aufgeben, wofür ich so lange gearbeitet habe! Wer bin ich denn dann… ja, wer bin ich überhaupt?'
'Schau,' sagt die Stimme. 'Bevor du so wurdest, wie du jetzt bist, wer warst du denn da? Es gab doch eine Zeit, als du anders warst. Erinnerst du dich nicht?'
Ich überlege… 'Ja klar', sage ich. 'Aber das zählt nicht. Da war ich noch ein Kind. Und Kinder brauchen nichts verdienen, denn für sie wird gesorgt. Das kann man mit heute nicht vergleichen, jetzt bin ich erwachsen und muss für mich selbst sorgen!' und damit will ich das Gespräch beenden. Doch die Stimme gibt keine Ruhe.
'Und das machst du? Sorgst du gut für dich? Für was genau sorgst du denn gut? Für deinen Körper...? Für deine Seele…? Weißt du überhaupt, dass du eine hast? Und dass sie jede Nacht vor Kummer über das, was ihr euch antut, weint, während du glaubst zu schlafen? Und dass du dich deshalb morgens so fühlst, so erschlagen und erschöpft?'
'So ein Quatsch!' sage ich nun verärgert.' 'Wenn das so wäre, dann würde ich das wissen. Sie ist doch ein Teil von mir, genauso wie du, komische Stimme ja auch, sonst würde ich dich ja jetzt nicht hören,' und stocke irritiert. Vielleicht verlier' ich ja doch grade den Verstand…
'Guter Anfang' lacht die Stimme. 'Der steht dir eh schon viel zu lange im Weg. Der wird nämlich immer dann zu groß, wenn wir ihm nicht genug Aufmerksamkeit schenken. Verrückt oder? Wenn wir die Gedanken, die wir denken, unkontrolliert durch uns durch rauschen lassen, wird er zu einem Wasserfall, der uns in den Abgrund zieht. Und macht so ein Getöse dabei, dass wir alles andere in uns nicht mehr wahr nehmen. Und oben drein noch Kopfschmerzen.'
'Ich verstehe', sage ich zögernd. 'Also, wenn ich darauf achte, was ich denke, dann denke ich weniger? Und es wird ruhiger in meinem Kopf? Aber was ist dann mit dem Rest, mit der Freude und Leichtigkeit von früher, die mir fehlt… und mit meiner Seele, weint sie dann nicht mehr soviel?' 'Nun,' antwortet die Stimme. 'Die Gedanken beobachten ist der erste Schritt.
Du wirst sie aber auch nach und nach gegen gute, liebevolle und wertschätzende Gedanken für dich austauschen müssen. Keine Sorge, das bekommst du hin.
Nimm einfach das Gegenteil von dem, was du lange über dich gedacht hast. Wo du Beispielsweise früher dachtest: Das verdiene ich nicht. Da denkst du dann: Ich bin es wert, ich verdiene alles. Und so machst du es mit jedem negativen Gedanken. Und wenn du von dir gut denkst, dann wirst du auch über das was dich umgibt gut denken.
Und dann, du wirst sehen, kommen auch die Leichtigkeit und die Freude wieder zurück, denn wenn du gut zu dir bist, wirst du automatisch nur noch den Weg der dir gut tut wählen. Gib dir Zeit dafür, es hat gedauert, bis du so wurdest wie du jetzt bist. Und es braucht auch Zeit, wieder anders zu werden.'
'So einfach…', denke ich und spüre diesen Worten nach. So. Einfach. Und in mir steigt ein zartes, lange vergessenes Fünkchen Hoffnung auf, das sich sehr schön anfühlt . 'Danke!' sage ich aus tiefstem Herzen. Liebevoll antwortet die Stimme: 'Danke dir! Danke deiner Seele! Denn sie, ich bin es, die mit dir gesprochen hat…'
©Nadine Baum